Liebe Genossinnen und Genossen,

in 12 Tagen findet die Wahl zum Europäischen Parlament statt. Sie findet in einer Zeit statt, in der wir eine paradoxe Situation erleben: Europa ermöglicht und garantiert Reisefreiheit, Freizügigkeit auch bei der Suche und Annahme von Beschäftigung. Europa unterstützt über die Förderpolitik regionale Strukturwandel. So werden auch in Zukunft in unserer Region Projekte wie z.B: Dorferneuerungsmaßnahmen von der EU gefördert. in vielen Gemeinden der Region hat man in der Vergangenheit hiermit bereits gute Erfahrungen gemacht. Des Weiteren hat Europa in der Vergangenheit wichtige Impulse für Umwelt- und Klimaschutz gegeben und den Verbraucherschutz gestärkt. Und: Die Europäische Integration ist das Friedensprojekt!

Aber gleichzeitig stellen wir fest, dass die Skepsis an der Ausgestaltung der Europäischen Integration weiter zunimmt. Eine paradoxe Situation, weil sie auch das Europäische Parlament betrifft, das in eineinhalb Wochen neu gewählt werden soll. Seit der ersten Europawahl vor 35 Jahren nimmt die Wahlbeteiligung sowohl in Deutschland, als auch im gesamteuropäischen Durchschnitt stetig ab. Eine Entwicklung, die gerade unter dem Aspekt, dass die Wichtigkeit des Europäischen Parlaments im gleichen Zeitraum zugenommen hat erschreckend ist.

„Europa neu denken“ heißt deshalb auch, die europäische Demokratie und die Kompetenzen des Europäischen Parlamentes zu stärken und das Europäische Parlament zu einem vollwertigen Parlament mit allen Rechten und Pflichten weiterzuentwickeln. Und es ist unsere Aufgabe, hierfür zu streiten und für Europa zu werben. Ich begrüße es daher, dass wir in dieser Plenartagung nicht nur einen von allen Fraktionen getragenen Wahlaufruf verabschieden werden, sondern dass auch unser Ministerpräsident Stephan Weil mit einer Regierungserklärung „Mehr als nur Binnenmarkt - Europa weiterentwickeln für Niedersachsen“ die Bedeutung der europäischen Politik und der Wahl zum Europäischen Parlament am 25. Mai 2014 unterstreicht.

In den Kontext der Wahl zum Europäischen Parlament gehört auch die Auseinandersetzung um die Verhandlungen des Freihandelsabkommens zwischen der Europäischen Union und der USA (TTIP). Wir haben unseren Antrag „Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA – Interessen Niedersachsens wahren, europäische Standards sichern“ (Drs. 17/1462) für die abschließende Beratung vorliegen. Der Antrag formuliert Ansprüche an die Ausgestaltung der Verhandlungen und eines möglichen Freihandelsabkommens und er greift berechtigte Bedenken und Kritik von Nichtregierungsorganisationen auf. Die Debatte über dieses Abkommen, die Erfahrungen aus Verhandlungen über Handelsabkommen in der Vergangenheit, aber auch die Verhandlungen über ein Abkommen zum Handel mit Dienstleistungen (TISA - Trade in Services Agreement; vgl. „Geheimverhandlungen in Genf, http://www.taz.de/!137455/) belegen immer wieder, dass entsprechende Verhandlungen kritisch begleitet werden müssen. Es zeigt sich, dass demokratische Strukturen und Maßnahmen der Daseinsvorsorge schnell auf der Strecke bleiben. Wir wollen allen Menschen den gleichen Zugang zu Gütern und Leistungen der Daseinsvorsorge ermöglichen. Öffentliche Daseinsvorsorge gehört daher in die öffentliche Hand – unter dem Gesichtspunkt des gleichen Zuganges, aber auch unter dem Gesichtspunkt einer demokratischen Gestaltung und Teilhabe! Hierfür müssen wir auch zukünftig streiten und entsprechende Errungenschaften verteidigen.

Außerdem gibt es in diesem Plenarabschnitt eine weitere Regierungserklärung von unserem Innenminister Boris Pistorius. Hintergrund hierfür ist zum einen die Vorstellung der seit Mitte April 2014 vorliegenden Handlungsempfehlungen der Arbeitsgruppe zur Reform des niedersächsischen Verfassungsschutzes. Zum anderen wurden am heutigen Tag die Ergebnisse der Task Force vorgestellt, die sicherlich ebenfalls in die Regierungserklärung einfließen werden. „Neuausrichtung des Verfassungsschutzes – Vertrauen zurückgewinnen“ – das ist der Titel der Regierungserklärung, das ist die Richtschnur für die Reform des Verfassungsschutzes und für die Fortführung eines Prozesses, der bereits mit der Ernennung einer neuen Behördenleitung im vergangenen Jahr eingeleitet wurde.

Unser Antrag auf Änderung der Geschäftsordnung (Drs. 17/1487) gehört in diesen Kontext. Die Änderung der Geschäftsordnung ermöglicht es, auch dem Ausschuss für die Angelegenheiten des Verfassungsschutzes öffentliche Sitzungen durchzuführen. Die Arbeitsgruppe der Landesregierung zur Reform des niedersächsischen Verfassungsschutzes hat dies u. a. vorgeschlagen. Die Änderung ist aber auch deshalb notwendig, damit die Beratungen über den weiteren Reformprozess des niedersächsischen Verfassungsschutzes, die im Ausschuss für die Angelegenheiten des Verfassungsschutzes stattfinden werden, soweit wie möglich öffentlich begleitet werden können.
Das Verhältnis der Türkei zur Europäischen Union, zur Bundesrepublik Deutschland, aber auch zu unserem Bundesland hat die Berichterstattung der letzten Wochen begleitet. Unsere Landesregie-rung und unser Ministerpräsident Stephan Weil konnte durch seine Reise in die Türkei in der vergangenen Woche hier einen eigenen Akzent setzen. Hieran knüpfen wir mit unserer Aktuellen Stunde „Niedersachsens Beziehungen zur Türkei ausbauen“ an. Uns geht es darum, die gegenseitigen Beziehungen und Partnerschaften auszubauen und damit den Weg der Türkei in die Europäische Union kritisch und konstruktiv zu begleiten.

Unsere weitere Agenda fürs Plenum
Entschließungsantrag „GreenShipping in Niedersachsen voranbringen“ (Drs. 17/1489)

In Niedersachsen sind über 40 000 Menschen unmittelbar in der maritimen Wirtschaft branchenübergreifend beschäftigt, und auch zukünftig werden die maritime Wirtschaft und insbesondere die Seeschifffahrt eine herausragende Stellung in der globalisierten Welt haben. Gleichzeitig aber führt der wachsende Schiffsverkehr auch immer mehr zu Umweltproblemen. Der weitaus größte Teil der Seeschifffahrtsflotte benutzt noch veraltete Technik, obwohl bereits bessere technische Standards entwickelt sind. Ziel muss es daher sein, die bestehende Flotte Schritt für Schritt um-weltgerecht umzurüsten und zu ersetzen. Dabei kann Deutschland als drittgrößter Reedereistandort eine entscheidende Rolle spielen. Innerhalb Deutschlands ist Niedersachsen als zweitgrößter Reedereistandort mit etwa 150 Reedereien maßgeblich an der Schifffahrt beteiligt. Gleichzeitig muss Niedersachsen als Küstenland die Interessen des Tourismus und des Umweltschutzes wahren, um weiterhin als attraktive Urlaubsregion zu punkten. Somit vereinigen sich in Niedersachsen wirtschaftliche, touristische und umweltpolitische Interessen mit dem Ziel, auch die Schifffahrt öko-logischer und ressourcenschonender zu machen. Aus neuen, umweltfreundlichen technologischen Entwicklungen und Konzepten sollen Chancen für neue Arbeitsplätze in Deutschland und Niedersachsen entstehen. Das ist das Ziel von „GreenShipping“ und der Entschließungsantrag skizziert hierfür Handlungsfelder und anforderungen.

Entschließungsantrag „Radikalenerlass – ein unrühmliches Kapitel in der Geschichte Nie-dersachsens – endlich Kommission zur Aufarbeitung der Schicksale der von Berufsverbo-ten betroffenen Personen einrichten“ (Drs. 17/1491)

Am 28. Januar 1972 beschloss die Ministerpräsidentenkonferenz unter dem Vorsitz des damaligen Bundeskanzlers Willy Brandt den sogenannten Radikalenerlass. Zur Abwehr angeblicher Verfassungsfeinde sollten „Personen, die nicht die Gewähr bieten, jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung einzutreten“ aus dem öffentlichen Dienst ferngehalten bzw. entlassen wer-den. Der „Radikalenerlass“ führte bundesweit zum faktischen Berufsverbot für Tausende von Menschen, die als Lehrerinnen und Lehrer, in der Sozialarbeit, als Briefträgerinnen und Briefträger, als Lokomotivführerinnen und Lokomotivführer oder in der Rechtspflege tätig waren oder sich auf solche Berufe vorbereiteten und bewarben. Auch in Niedersachsen waren über 130 Personen unmittelbar durch den sogenannten Radikalenerlass betroffen, und zwar vor allem durch nicht strafbewehrte Mitgliedschaften oder Aktivitäten für Organisationen, denen vorgeworfen wurde, verfassungsfeindliche Ziele zu verfolgen. Betroffen war vor allem der Schuldienst, wo in den 1970er- und 1980er-Jahren Bewerberinnen und Bewerber nicht eingestellt und Lehrkräfte entlassen wurden. Viele Betroffene mussten sich nach zermürbenden und jahrelangen Prozessen beruflich anderweitig orientieren.
In diesem Plenarabschnitt befindet sich dieser Antrag in der ersten Beratung. Mit seiner Annahme in einer der kommenden Plenarabschnitte wird der Landtag eine Kommission zur Aufarbeitung der Schicksale der von niedersächsischen Berufsverboten betroffenen Personen und der Möglichkeiten ihrer politischen und gesellschaftlichen Rehabilitierung einrichten. Ebenso ist eine wissenschaftliche Begleitung vorzusehen.

Entschließungsantrag „Netzland Niedersachsen: Breitbandausbau gemeinsam voranbrin-gen“ (
Drs. 17/1492)

Der schnelle und leistungsfähige Internetzugang ist die Grundlage für den Fortschritt der Digitalisierung - zugleich ist die Überwindung der digitalen Spaltung eine der Gerechtigkeitsfragen unserer Zeit. Artikel 72 Abs. 2 des Grundgesetzes verpflichtet den Gesamtstaat, gleichwertige Lebensverhältnisse herzustellen - dazu gehören nach Artikel 87 f. des Grundgesetzes auch flächendeckend angemessene und ausreichende Dienstleistungen im Bereich der Telekommunikation. Dem soll die niedersächsische Breitbandstrategie Rechnung tragen. Eine moderne Breitbandausbau-Politik entspricht dem Verständnis von Daseinsvorsorge im digitalen Zeitalter: Sie gewährleistet Zugang zu einer Infrastruktur, durch die gesellschaftlicher und ökonomischer Fortschritt begünstigt und aktiv gefördert wird. Und zugleich ist sie ein Beitrag zur gerechten regionalen Landesentwicklung - so kann wirksam verhindert werden, dass viele Menschen in ländlichen Regionen von der Teilhabe am technologischen Fortschritt abgehängt werden. Einen flächendeckenden, schnellen und zukunftssicheren Internetzugang für alle zu ermöglichen, muss höchste Priorität haben - nicht zuletzt, um die digitale Spaltung unserer Gesellschaft zu überwinden und dauerhaft zu verhindern. Dafür ist eine Vielzahl von Maßnahmen nötig, um zusätzliche Impulse für den weiteren Ausbau von Breitbandnetzen zu setzen. Der Entschließungsantrag greift diese Maßnahmen auf.

Entschließungsantrag „Jobmotor soziale Gesundheitswirtschaft Niedersachsen - Gesundheitsberufe stärken und Fachkräftenachwuchs sichern“ (Drs. 17/1488)

Niedersachsen verfügte über eine starke Position im Bereich der Gesundheitswirtschaft. Mehr als 450.000 Menschen arbeiten in Niedersachsen in diesem Bereich. Damit ist die soziale Gesundheitswirtschaft eines der größten Beschäftigungsfelder in unserem Bundesland. Hierbei stehen die Pflege, Krankenhäuser, Rettungsdienste sowie Vorsorge- und Reha-Einrichtungen vor der Herausforderung, der zunehmenden Nachfrage von älteren und alten Menschen zu begegnen. Allein durch den demografischen Wandel, d. h. durch die deutliche Verschiebung der Altersstruktur und den Rückgang der Bevölkerung, ist mit einem wachsenden Pflegebedarf, insbesondere jedoch mit einem zusätzlichen Bedarf an professioneller Pflege aufgrund veränderter Haushalts- und Familienstrukturen, zu rechnen. Dies erfordert gut ausgebildete Fachkräfte. Der Entschließungsantrag skizziert Anforderungen, um die soziale Gesundheitswirtschaft weiter zu fördern und auszubauen. Zu den Anforderungen gehört u.a. die Entwicklung eines Masterplans „Soziale Gesundheitswirtschaft Niedersachsen“.
Auf der Tagesordnung für diesen Plenarabschnitt steht auch die Beschlussfassung zu dem Anliegen der „Volksinitiative für bessere Rahmenbedingungen in den niedersächsischen Kindertagesstätten“. Die Anliegen der Volksinitiative wurden verantwortungsvoll und intensiv beraten, denn bessere Kinderbetreuung und -förderung geht uns alle an. Die Beschlussempfehlung gibt die Richtung und einen Fahrplan vor. Für uns steht fest, dass wir eine stärkere Förderung der früh-kindlichen Bildung wollen. Hier muss ein Schwerpunkt gesetzt werden. Aber zur Finanzierung benötigen wir dringend die sechs Milliarden Euro, die in der Vereinbarung zur Großen Koalition in Berlin den Ländern ohne Zweckbindung zugesagt worden sind. Das Aufweichen dieser Verabredung lehnen wir ab!